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Serie A, Kammermusik
om104 / Band 7
Johann Gottlieb Graun (1701/2–1771)
Trio c-Moll
für 2 Vl und Bc
Herausgegeben von Tobias Schwinger
om104
ISMN M-700296-48-3
Partitur und Stimmen (Broschur), 33 Seiten
inkl. MwSt. zzgl. Versandkosten 16,50 EUR

136 Trios für zwei Melodieinstrumente und Basso continuo sind unter dem Namen „Graun“ überliefert. Die stattliche Anzahl wie auch die Verbreitung der Kompositionen und nicht zuletzt ihre künstlerische Qualität belegen die bedeutende Rolle, die die Gattung im Schaffen der Brüder Carl Heinrich und Johann Gottlieb Graun einnahm. Die späte Blüte der von Arcangelo Corellis klassischen Werken wesentlich geprägten Triosonate in Norddeutschland wurde von ihren Kompositionen mitgetragen. Kaum zufällig nehmen einige der mehr oder weniger ausführlichen Darstellungen der Gattung in den musiktheoretischen Lehrwerken des 18. Jahrhunderts ausdrücklich Bezug auf die Graun-Trios. Erstmals geschah dies bei Johann Adolf Scheibe, der Carl Heinrich Graun 1739 attestierte, den „Endzweck des Kammerstyls“, der darin bestehe, die Zuhörer „zu ergetzen und aufzumuntern“, in seinen Trios vorbildlicher Weise zu erreicht zu haben: „Er ist neu, zärtlich, schmeichelnd, und von einer ganz außerordentlichen Lieblichkeit.“ Über 30 Jahre später betrachtete Johann Adam Hiller Grauns Werke als ideale Verwirklichung der Anforderungen der Gattung. Er grenzte dabei, an ältere Darstellungen anknüpfend, die für sie grundlegende, auf zwei imitierenden Melodiestimmen mit unterstützendem Generalbass beruhende Kompositionsweise von moderneren homophonen bzw. virtuosen Konzepten ab. Der Rang von Grauns Trios beruhte seiner Überzeug nach auf dem gelungenen Ausgleich von kontrapunktischem Satz und expressiver Melodieführung: „Der Gesang läßt sich nicht schöner, nicht reizender denken, als man ihn in diesen Meisterstücken der Composition antrifft; nur ein Graun, nur dieser große Meister des Contrapuncts, war fähig, nach den strengsten Gesetzen der Nachahmung so rührend und schön zu schreiben, und so viel Kunst in diese Stücke zu weben, ohne daß man irgendwo den geringsten Zwang bemerkt.“ Schon retrospektiv schließlich behandelte Heinrich Christoph Koch das Trio 1793 in seiner Kompositionslehre. Er betrachtete Graun als den letzten Klassiker der Gattung, deren Wesen er auf ähnliche Art wie Hiller definierte. Auf dieser Grundlage hob er die Flötentrios Grauns als beispielhaft hervor, „weil in denselben mit den schönsten Nachahmungen aller Art [d. h. Imitationen, fugierten Abschnitten usw.] der größte Reichthum der Harmonie, und die gefälligste und schmeichelhafteste Melodie verbunden ist, die nicht blos dem Ohr gefällt, sondern auch zugleich das Herz rührt.“ […]

Die in der Zuschreibung gesicherten Trios der Brüder Graun bilden stilistisch einen geschlossenen Korpus, dessen Substanz von den zeitgenössischen Musiktheoretikern als Synthese von Kontrapunkt und expressiver Melodie, von Kunst und Natur, Tradition und Moderne beschrieben wurde. Tatsächlich fällt auf, dass der imitierende Satz im Sinne des „Endzwecks des Kammerstyls“ durch Haltetöne, kurzgliedriges, quasi dialogisierendes Zuspielen von Motiven und durch Abschnitte mit parallel in Terzen und Sexten geführten Stimmen vereinfacht und fasslich gemacht wird. Die Aufmerksamkeit richtet sich so auf die „Melodie“, die weniger Gewebe als vielmehr ausdrucksvolle Kantilene ist. Freilich realisieren die Brüder Graun diese Grundidee, die der zeitgenössischen Forderung entsprach, dass sich in der Musik das fühlende Herz aussprechen soll, in ihren Werken auf differenzierte Weise. So tendiert die melodische Durchgestaltung der Sätze mal mehr zur Einheitlichkeit und ein anderes Mal mehr zur Vielfalt. Auch fällt die Beteiligung der Bassstimme unterschiedlich aus und gelegentlich machen sich virtuose spieltechnische Elemente bemerkbar. Nicht zu übersehen ist die Entwicklung von der Viersätzigkeit (langsam – schnell – langsam – schnell) zur Dreisätzigkeit (langsam – schnell – [sehr] schnell). Während 10 der 27 Carl Heinrich Graun zugeschiebenen Trios viersätzig sind, trifft dies nur für drei der 51 Werke Johann Gottlieb Grauns zu; eines davon rechnet zum Frühwerk. Seine sich bis in die 1750er Jahre, vielleicht sogar 1760er Jahre erstreckende Beschäftigung mit dem Trio geht mit einer klaren Präferenz für die moderne dreisätzige Form einher. Im Unterschied freilich zum Sonatenzyklus liegt das musikalische Schwergewicht seiner Trios auf dem langsamen Kopfsatz, deren kompositorischer Komplexität und Ausdruckskraft in den nachfolgenden raschen Sätzen quasi als Ausgleich „ergötzlichere“ tänzerische oder scherzhafte Charaktere an die Seite gestellt werden.

(aus dem Vorwort von Christoph Henzel)

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