Johann Gottlieb Graun, Konzertmeister der Hofkapelle Friedrichs II. von Preußen, schrieb mindestens 83 Solokonzerte, außerdem Doppelkonzerte sowie einige Gruppenkonzerte mit Solovioline. Von den Solokonzerten sind neun nur durch Katalogeinträge bekannt; die Noten selbst sind verschollen. Die übrigen 74 Konzerte sind ausschließlich in Abschriften überliefert. Leider kann nur bei acht von ihnen die Zuschreibung an Johann Gottlieb Graun als völlig gesichert gelten. Die meisten Handschriften stammen überwiegend von Kopisten, die in keiner engeren Beziehung zum Komponisten gestanden haben, oder sie tragen als Autorenangabe nur den Namen „Graun“. Allerdings liegt die Annahme nahe, daß Werke für Solovioline unter den Grauniana mit hoher Wahrscheinlichkeit ausschließlich aus der Feder des Konzertmeisters Graun stammen.
Ebenso diffizil wie die Frage der Autorschaft ist die nach der Datierung der Konzerte. So ist das Violinkonzert c-Moll nur in Krakau in einer Partiturabschrift aus der Zeit nach dem Siebenjährigen Krieg überliefert (PL-Kj: 10 in: AmB 236). Die Handschrift stammt aus der Notensammlung der Prinzessin Anna Amalia, der Schwester Friedrichs des Großen. Sie wurde von einem Kopisten namens Schober angefertigt, vermutlich ein Hornist der Berliner Hofkapelle, der von der Mitte der 1760er Jahre (nach dem Siebenjährigen Krieg) bis zum Ende der 1780er Jahre aktiv war. Wahrscheinlich ist das Konzert aber lange davor entstanden, denn es ist weitgehend der Konzertform Antonio Vivaldis verpflichtet. Lediglich im Eröffnungssatz zeigt sich der Einfluss der von Giuseppe Tartini in den 1730er Jahren entwickelten und von Graun rezipierten Neuerungen (siehe das Violinkonzert a-Moll, GraunWV A:XIII:13). So hebt Graun hier ab T. 64 die sonst klare funktionale Trennung von tonal stabilen Tutti-Ritornellen und modulierenden Solopassagen zugunsten eines kleingliedrigen, flexiblen Wechselspiels auf. Die Rückkehr zur Grundtonart erfolgt erst ab T. 81 inmitten einer Reprise der 2. Soloepisode, welche in das Schlussritornell (T. 103ff.) mündet.
Charakteristisch für Grauns Konzerte sind die vergleichsweise umfangreichen, motivisch vielfältigen Eröffnungsritornelle, in denen alle relevanten melodischen Elemente des jeweiligen Satzes angelegt sind. Lyrische Seitengedanken (in der Regel ohne Bass), dynamische Kontraste, Echowirkungen sowie imitatorisch aufgelockerte Phasen sorgen für einen gedanklichen Reichtum, welcher im weiteren Verlauf der Sätze variiert und mit virtuosen Passagen durchsetzt wird.
Der mit knapp 250 Takten weitaus umfangreichste Satz des Konzerts ist der Schlusssatz. Er ist mehr als doppelt so lang wie der kunstvoller und „gearbeiteter“ gestaltete Eröffnungssatz. Dies zeugt von Grauns Bemühung um eine Balance zwischen den Ecksätzen im Zyklus. In dem tänzerischen Schlusssatz ist die klare Scheidung zwischen Ritornellen und Episoden in Bezug auf Besetzung und Funktion allerdings durchweg formal kontitutiv. Im Unterschied zur Komplexität des letzten Drittels des Eröffnungssatzes sorgt hier die Reprise der 1. Soloepisode vor dem Schlussritornell für Fasslichkeit und formale Abrundung.
(aus dem Vorwort zur Partitur von Christoph Henzel)