Im Jahre 1734 veröffentlichte der Londoner Verleger John Walsh „sechs Concerti Grossi […] Da G. F. Handel. Opera Terza.“, deren erstes das Concerto grosso B-Dur op. 3 Nr. 1, HWV 312, ist. Offenbar hatte Händel mit der Drucklegung dieser Sammlung selbst nichts zu tun, denn in der ersten Auflage gab es nicht nur an vierter Stelle ein Concerto, das vermutlich von Francesco Geminiani (1687–1762) stammt, sondern auch zahlreiche Stichfehler und schlecht gearbeitete Transkriptionen von Werken für Tasteninstrument. Ein großer Teil der Musik beruht auf Orchesterkompositionen, die Händel als Ein- oder Überleitungsmusiken für verschiedene Vokalwerke geschrieben hatte. Unter allen sechs Concerti grossi aus op. 3 ist das erste das einzige, für das bisher keine auffälligen motivisch-thematischen Gemeinsamkeiten mit anderen Werken Händels nachgewiesen werden konnten. Ungewöhnlich ist außerdem die Satzfolge einem Allegro in B-Dur folgen ein Largo in g-Moll und ein überraschend kurzes Allegro, ebenfalls in g-Moll, für die aber nicht Walsh oder seine Mitarbeiter verantwortlich sind, denn HWV 312 existiert in der von ihnen publizierten Form bereits in der im Zeitraum 1718–1727 entstandenen Abschrift der Malmesbury Collection sowie in einer vermutlich aus dem Jahre 1724 stammenden Partitur, die sich in der Staatsbibliothek Hamburg befindet.
Für die „Authentizität der überlieferten Form“ spricht nach Bernd Baselt auch die „für dieses Konzert charakteristische Instrumentierung der Mittelstimmen mit Va. I, II, die in keinem der anderen Konzerte wieder aufgegriffen wird“. Aber gerade die Teilung der Bratschen schärft das Misstrauen gegenüber dieser Überlieferung, denn in den Orchestern, für die Händel komponierte, gab es meist zahlreiche Violinen und nur wenige Bratschen. Folglich sind geteilte Bratschen in seinem Werk äußerst selten.
Anders als in der bisher bekannten Version des Konzertes Concerto grosso op. 3 Nr. 1 HWV 312 entspricht die Verteilung der hohen und mittleren Streicherstimmen auf Violinen und Bratschen in der hier erstmals edierten Dresdner Fassung Concerto grosso HWV 312a durchaus dem von Händel Gewohnten. Hier sind die Bratschen niemals geteilt, und statt der V. I, II (mit Solovioline aus V. I) von HWV 312 gibt es in HWV 312a eine konzertierende Violine und V. I, II, III. Folglich sind die Streicherstimmen in HWV 312a überall anders verteilt als in HWV 312: Meist hat die V. I von 312a die Musik der V. II von 312 und die V. II von 312a die der Va. I von 312. Die Va. von 312a entspricht der Va. II von 312, und in 312a stimmt der Notentext der V. III meist mit dem der V. I tutti überein. Dem abwegigen und ineffektiven Schweigen der übrigen V. I während aller orchesterbegleiteter Solopassagen von V. I solo in HWV 312 steht in HWV 312a ein plausibler und effizienter Einsatz aller beteiligten Instrumente gegenüber. Dabei weisen im Gegensatz zur Situation in den Violinen und Bratschen in den in der musikalischen Substanz mit HWV 312 übereinstimmenden Teilen von HWV 312a der Einsatz der Bassi weniger gewichtige und der der Blockflöten und Oboen kaum Unterschiede zu HWV 312 auf.
Händels Concerto grosso B-Dur existiert in zwei deutlich voneinander geschiedenen Überlieferungen, der englischen und der Dresdner. HWV 312a ist in vieler Hinsicht musikalisch schlüssiger als op. 3 Nr. 1, HWV 312, und verdient, in die Musikpraxis aufgenommen zu werden.