Musikalische Weihnachtsstimmung verströmt die Kantate zum 2. Weihnachtsfeiertag Verfolge mich, o Welt! kaum. Denn nicht von der Freude über die Geburt des Gottessohnes ist die Rede, sondern thematisiert wird – am Gedenktag des gesteinigten Stephanus (26. Dezember) – das standhafte Bekenntnis des Erzmärtyrers zu Christus, sein Leiden und seine Sehnsucht nach Erlösung im Tod. Vielfältige musikalische Akzente setzt Gebel in dieser großdimensionierten „Stephanus-Kantate“: Sie reichen im Teil „Vor der Predigt“ vom trotzig-mutigen Diktum „Ich fürchte mich nicht vor viel Hunderttausenden“ (Psalm 3,47) über die von dynamischen Kontrasten und Taktwechseln durchzogene Bass-Arie „Wie selig ist der Stand“ bis hin zur Arie des Tenors „Unter meines Jesu Schutz“, in der viele mutige Oktavsprünge Stephanus' Gottvertrauen versinnbildlichen.
Im Teil „Nach der Predigt“ ist es Stephanus (verkörpert vom Alt), der im Diktum betet: „Herr Jesu, nimm meinen Geist auf“ (Apostelgeschichte 7,58), worauf „con spirito“ der Tenor mit dem dramatischen Einwurf reagiert: „Immerhin, immerhin! Will man mir das Leben nehmen“. Musikalischer Höhepunkt der Kantate ist schließlich Stephanus' Flehen um Erlösung: Die Alt-Arie „Erlöse meine Seele, Immanuel“ (mit obligater Oboe) berührt als „Andachtsmusik“ unmittelbar und gewährt tiefen Einblick in Gebels „musikalische Welt“. Sie offenbart seine außerordentlichen, ihm zu Gebote stehenden kompositorischen Ausdrucksmöglichkeiten ebenso, wie sie die ihm vorschwebenden klanglichen Farbwirkungen erahnen lässt.
(aus dem Vorwort von Manfred Fechner)
Zum Komponisten
Bereits 1963 schrieb Peter Gülke über die Musik Georg Gebels: „[…] er weiß den Wechsel von Chorsatz, Rezitativ, Arie und Choral mit feinem Gefühl für die Eigenart jeder dieser Formen auszunutzen, die nirgends nur als konventionell gesicherte Normen erscheinen. Unübersehbar ist ein sensitiv-empfindsamer Zug. […] Seine Arien enthalten thematische Bildungen, der besten Tradition des Barock würdig, eigenwillige und charaktervolle Prägungen, die man an dieser Stelle kaum vermutet. […] Wenn der Ausdruck es von ihm zu verlangen scheint, schreibt er einen streng polyphonen Chorsatz von größter harmonischer, durch chromatische Führungen bestimmter Färbung, in den Chorälen hingegen hält er sich deutlich an das […] Ideal eines ‚reinen Satzes‘.“
(Peter Gülke, Musik und Musiker in Rudolstadt, Rudolstadt 1963, S. 21)