„Gottfried Heinrich Stölzel ist einer von den vernünfftigen, gelehrten und grossen Tonmeistern […]“. Mit diesen Worten leitete Johann Mattheson die Autobiografie des Komponisten ein, die 1740 in der Grundlage einer Ehren-Pforte, also noch zu Stölzels Lebzeiten, erschien. Laut dieser Quelle wurde Stölzel am 13. Januar 1690 im erzgebirgischen Grünstädtel geboren. Er erhielt die erste musikalische Ausbildung in seiner Heimatstadt, später lernte er an den Gymnasien von Schneeberg und Gera. 1707 begab er sich an die Universität nach Leipzig und wurde dort musikalisch durch den Organisten und Musikdirektor an der Neukirche, Melchior Hoffmann, gefördert.
Sein Weg führte ihn 1710 als Musiklehrer nach Breslau; hier entstand Stölzels erste Oper Narcissus. 1712 komponierte er im Auftrag Johann Theiles für die Naumburger Peter-Pauls-Messe die Oper Valeria; zwei weitere Opern für Naumburg folgten. 1713 trat Stölzel eine achtzehn Monate währende Reise nach Italien an (Venedig, Florenz und Rom) und pflegte dort u.a. Kontakte mit Francesco Gasparini, Antonio Vivaldi sowie Giovanni Bononcini. Anschließend wirkte Stölzel fast drei Jahre lang als Komponist in Prag.
Zur Zweihundertjahrfeier der Reformation 1717 erhielt er einen Ruf nach Bayreuth, wo er Opern und Kirchenmusik komponierte. Über seinen weiteren Lebensweg berichtete er: „Ao. 1718 wurde ich von Ihro Hochgräfl. Gnaden zu Gera zum Capellmeister berufen, und eben dieses Jahr führte ich eine Oper Diomedes [oder Die triumphierende Unschuld ] genannt, von meiner Arbeit, zu Bayreuth auf.“ Das Werk erfreute sich großer Beliebtheit. Johann Sebastian Bach, der die Musik seines Kollegen Stölzel sehr schätzte und dessen Kirchenmusik aufführte, nahm eine Arie aus der Oper (Bist du bei mir ) in das Notenbüchlein für Anna Magdalena Bach auf. Im Herbst 1719 wurde Stölzel von Herzog Friedrich II. in das Amt des Hofkapellmeisters nach Gotha berufen. Dort wirkte er 30 Jahre lang bis zu seinem Tod am 27. November 1749.
Stölzel war ein äußerst produktiver Komponist, der in gleichem Maße durch Bühnenwerke (darunter mindestens 17 Opern) wie durch Instrumentalmusik bekannt wurde. Im Zentrum seines Schaffens, insbesondere seit seiner Einstellung in Gotha, stand jedoch die geistliche Musik, vor allem die Komposition von Kirchenkantaten, die er auch nach Gera, Sondershausen und Zerbst lieferte. Von über 1350 nachgewiesenen Werken dieser Gattung ist etwas weniger als die Hälfte überliefert. Neun davon werden an Stölzels Wirkungsort, Schloss Friedenstein, in der heutigen Forschungsbibliothek Gotha der Universität Erfurt aufbewahrt.
Stölzel vertonte den 51. Psalm 1721. Das Autograph des Werkes gilt heute als eines der frühestdatierbaren unter den erfassten Notenmanuskripten des Komponisten. [...]
Das Werk lässt sich keinem der von Stölzel vertonten Libretti an Kirchenjahrgängen zuordnen und unterscheidet sich von der bei ihm üblichen Struktur seiner Kantaten durch die ausschließliche Vertonung eines Bibelwortes (Psalmtextes). Es enthält keine freien madrigalischen Textabschnitte.
Die Vertonung des 51. Psalms besteht aus vier ineinander attacca übergehenden Teilen: dem Chorsatz Schaffe in mir, Gott, ein reines Herze, zwei Duetten, Verwirf mich nicht (Alt, Sopran) und Tröste mich wieder (Tenor, Bass), sowie dem finalen Chorsatz Und der freudige Geist enthalte mich. Kompositionstechnisch nutzt Stölzel in diesem Werk sowohl den Fortspinnungstyp, wie er in Arien und Vokalensembles jener Zeit vorkommt, als auch die Fuge.
Diese beiden Prinzipien der Formgebung finden im ersten Chorsatz gleichermaßen ihre Ausprägung. Die insgesamt fünf Abschnitte einer Fuge in den Gesangstimmen werden hier durch instrumentale Ritornelle voneinander getrennt bzw. von ihnen umrahmt, die im Kontext der auf Imitationstechnik basierenden Entwicklung der Vokalteile als Zwischenspiele auftreten. Das Eingangs-Ritornell (T. 1–7) enthält wie üblich einen thematischen Kern, aus dem sich die Chorfuge wie auch die weiteren instrumentalen Ritornelle entfalten. Die Tonartentwicklung ist trotz der komplexen Formgestaltung eher schlicht. Sie bewegt sich stets zwischen Tonika (A-Dur) und Dominante (E-Dur) mit einer einzigen kurzen Ausweichung in die Subdominante D-Dur (T. 30) und die Parallele fis-Moll (T. 32).
Auf dem Fortspinnungstyp mit einem instrumentalen Ritornell, das die Vokalteile einleitet, abschließt bzw. miteinander verbindet, beruhen auch die beiden Duette. Deren Ritornelle unterscheiden sich jedoch in Bezug auf die jeweiligen Abschnitte mit Gesang. Die schlichte melodische Linie des Generalbasses im Eingangs-Ritornell des ersten Duetts (T. 50–54) ist thematisch relativ autonom und wird eher zum Leitfaden für die Fortspinnung im Bereich der Harmonik, während die melodische Entwicklung in den Singstimmen von einer eigenen Motivaufstellung ausgeht. Im zweiten Duett dagegen wird das Eingangs-Ritornell (T. 101–115) zur thematischen Grundlage der Vokalteile, die wiederum in einem komplementären Verhältnis zu den Zwischen-Ritornellen stehen.
Der finale Chorsatz hat die Form einer vierstimmigen Fuge, wobei die Instrumente bis auf wenige Ausnahmen colla parte zu den Gesangstimmen spielen. Die Ausgewogenheit wie Glätte suggerierende Wirkung des Themas in der Exposition mit ihren fallenden Stimmeneintritten (Sopran–Alt–Tenor–Bass; T. 158–183) wird in der Kontraexposition (T. 183–210) bekräftigt. Der relativ kurze Entwicklungsteil (T. 210–227) mit der Durchführung des Themas in Moll (h-Moll, fis-Moll und cis-Moll) stellt einen tonalen Kontrast zur Haupttonart A-Dur dar. Die Reprise (T. 228–248) beschränkt sich auf ein einmaliges Erklingen von Dux und Comes in den Außenstimmen und eine dreistufige Sequenz, die in eine homophone Schlusskadenz mündet.
Aus dem Vorwort von Denis Lomtev