Die Taufmatrikel der katholischen Pfarrei Heideck im Landkreis Roth, Bayern – rund 30 Kilometer südlich von Nürnberg gelegen –, verzeichnet unter dem 10. März 1685 die Taufe von Johann Paul Schiffelholz. Normale Verhältnisse vorausgesetzt, wird die Geburt selbst wenige Tage zuvor stattgefunden haben. Als Eltern werden der Archigrammataeus Johann Jakob Schiffelholz und dessen Ehefrau Maria Magdalena Schiffelholz, als Taufpate und Rufnamensgeber der wohlgeborene Herr Landrichter und Landheilingverwalter Johann Paul Ottinger genannt.[1]
Mit dem Begriff „Stadtschreiber“ wäre die lateinische Bezeichnung des väterlichen Berufes nur unvollkommen wiedergegeben, die Charakterisierung meinte damals vielmehr das höchste und bedeutendste Führungsamt einer Stadtverwaltung. Der Taufpate war neben seinem Richteramt als „Heiling“ für die Vermögens- und Einkünfteverwaltung der Pfarrkirchen im Bereich Heideck zuständig. Mithin trafen bei Johann Paul Schiffelholzens Taufe die höchsten Repräsentanten der Kommune Heideck und der dortigen Gerichtsbarkeit familiär zusammen.
Johann Pauls Großvater Georgius Schiffelholz lebte als Senator und Mitglied des Inneren Rates am Hofe des Fürstbischofs von Eichstätt, das etwa 25 Kilometer südlich von Heideck, jenseits der Fränkischen Alb, liegt.
Leider fehlen Nachrichten über Johann Pauls schulische und musikalische Ausbildung. Später sichtbar werdende exzellente Kenntnisse in Latein und Musik deuten indes darauf hin, dass er nach wahrscheinlich vier Grundschuljahren in Heideck mutmaßlich seit ca. 1695 maximal sechs Jahre lang ein Jesuitengymnasium im süddeutschen Raum besucht hat. Von möglicherweise 1701 an mag sich eine instrumentale Aus- bzw. Fortbildung im Violinspiel und in der Komposition angeschlossen haben – naheliegend wiederum im süddeutschen Raum, wenn nicht sogar in Italien.
Am 21. April 1704 heiratete Johann Paul in Ingolstadt Maria Anna Zinzl, die Tochter des Regens Chori Johann Zinzl an der Schule bei der Obern Pfarr und an der Akademischen (das heißt Universitäts-)Pfarrkirche Zur Schönen Unserer Lieben Frau (heute „Liebfrauenmünster“) daselbst. Zugleich übernahm er das verwaiste Amt des Regens Chori, das bisher sein Schwiegervater innegehabt hatte. Die archivalische Dokumentation zu Johann Zinzl bricht 1703 ab, so dass angenommen werden kann, dass die Chorregentenstelle an der genannten Ingolstädter Schule und Kirche Anfang 1704 vakant gewesen, vermutlich durch Johann Zinzls Tod frei geworden ist. In den entsprechenden Kirchenregistern wird Johann Paul Schiffelholz erstmals 1704 verzeichnet.
Die Bezeichnung Regens Chori deckt nur eine Hälfte , den öffentlich-kirchlichen Anteil seiner beruflichen Tätigkeit ab, während die schulisch-pädagogische Tätigkeit dabei im Verborgenen bleibt. Dennoch oblag ihm als Rector Chori et Scholae die Gesamtverantwortung und Entscheidungsbefugnis bei seiner wissenschaftspropädeutischen wie musikalischen Arbeit an der Lateinschule ebenso wie an der Kirche Zur Schönen Unserer Lieben Frau der Obern Pfarr. Unterstützt wurde er dabei insbesondere in musikpraktischen Belangen durch zwei Kollegen, den Cantor und den Organisten, sowie durch die Schülerchoristen und ausgewählte Psalteristen.
Johann Paul war mit Maria Anna Zinzl († 12. 4. 1730), Maria Anna Schweiger († 26. 10. 1737) und seit dem 3. 7. 1738 mit Maria Ursula Spitzer verheiratet. Von den insgesamt 11 und 7 Kindern aus der ersten und dritten Ehe starben allerdings mehr als die Hälfte bereits in jungen Jahren.
Eine bis ins Jahr 1840 reichende Ingolstädter Tradition, festgehalten vom Landrichter und Lokalhistoriker Joseph Gerstner, charakterisiert Johann Paul als einen geschickten Musiker, welcher von Eichstätt berufen wurde, um in dieser [Ingolstädter Liebfrauen-]Kirche eine Instrumentalmusik einzuführen. Die Chronik schildert ihn als einen sehr gravitätischen Mann mit einer großen Allongeperücke, rotem Mantel mit goldenen Spangen und Quasten, Haarbeutel, Degen und Chapeaubas.
Nach einem erfüllten Leben, nach 55 Dienstjahren am selben Ort, an derselben Schule und Kirche, endete sein Leben am 28. Januar 1758. Begraben wurde er auf dem inneren Friedhof der Ingolstädter Kirchengemeine Zur Schönen unserer Lieben Frau.
Sein kompositorischer Nachlass umfasst zwei Individualdrucke und mehrere Handschriften, Vokalwerke wie Instrumentalwerke. 1727 erschienen bei Lotter in Augsburg acht Soloviolinkonzerte mit Begleitung von Streichern und Continuo (Werktitel: THESAURUS RECONDITUS, Der verborgene Schatz) sowie sechs gefällige, weil kurze Messen zu vier gewöhnlichen Stimmen mit 2 Violinen, 2 Trompeten oder Hörnern mit doppeltem Bass (heute verschollen). Die handschriftliche Überlieferung betrifft 31 Hymnus-Sätze, eine Aria und neun Instrumentalwerke für Gallichona, Mandora, Fagott nebst Begleitung.
Die Stilwende vom Barock zur Klassik ließ Johann Paul Schiffelholz sehr bald nach seinem Tod in Vergessenheit geraten. Einige Musiklexika verzeichnen, wenn auch nur unvollständig, Name und Werk des Ingolstädter Musikers: Johann Gottfried Walther, Musicalisches Lexicon, Leipzig 1732; Felix Joseph Lipowsky, Baierisches Künstler=Lexikon, München 1810; Ders., Baierisches Musik=Lexikon, München 1811; François-Joseph Fétis, Biographie universelle, Paris 1834-35; Gustav Schilling, Encyclopädie, Stuttgart 1838. Die moderne Enzyklopädie Die Musik in Geschichte und Gegenwart, Kassel 1949-86 und 1994-2007, schweigt zu J. P. Schiffelholz.
Diese Veröffentlichung ist Teil des Erstdrucks sämtlicher THESAURUS-Concerti im ortus musikverlag Beeskow. Der Part der verschollenen Solovioline wurde in Concerto I vom Herausgeber, in Concerto II von Dr. Joachim Winkler (Kellinghusen), die Alto-Viola-Stimme in beiden Concerti vom Herausgeber ergänzt.
Herten, im Juli 2019 Dr. Klaus Beckmann
[1] Ausführliche Belege zu sämtlichen Angaben usw. siehe Klaus Beckmann (Hrsg.): Johann Paul Schiffelholz, Thesaurus reconditus, VIII Concerti, Heft 1: Concerti I-II, ortus musikverlag, Beeskow 2019 (om260/1), S. 6-21.